Am 15. Januar 2023, einem Sonntag, gab es für die Menschen in Baden-Württemberg eine beunruhigende Nachricht: der Netzbetreiber TransnetBW forderte sie auf, in der Zeit von 17 bis 19 Uhr möglichst wenig Strom zu verbrauchen [1]. Was war geschehen? War vielleicht ein großes Kraftwerk im Südwesten ausgefallen?
Das Gegenteil war der Fall. An dem Tag war es recht stürmisch, so dass in Norddeutschland hohe Erträge an Windstrom erwartet wurden [2]. Als Folge des Überangebots fielen im deutschen Strommarkt die Preise. Dies wiederum führte dazu, dass mehrere fossile Kraftwerke in Süddeutschland ihren teureren Strom nicht mehr kostendeckend verkaufen konnten und deshalb vom Netz genommen wurden [3].
Im gesamten deutschen Strommarkt stand also mehr als genug Strom zur Verfügung. Das Problem war nur, dass er nicht zu den Kunden nach Baden-Württemberg gelangen konnte – bekanntlich mangelt es an Leitungskapazitäten zwischen Nord und Süd. Den Netzmanagern von TransnetBW blieb deshalb nichts anderes übrig, als in der besonders kritischen Zeit ca. 500 Megawatt an Kraftwerksleistung im benachbarten Ausland einzukaufen. Glücklicherweise standen dort ausreichende Kapazitäten zur Verfügung.
Eine Ursache des Problems liegt ganz offensichtlich darin, dass von einem fiktiven einheitlichen Strommarkt ausgegangen wird. Der existiert so aber gar nicht, da die Marktteilnehmer nicht frei miteinander interagieren können. Das ist genau wie beim Gemüsekauf: wenn es auf dem Kieler Blücherplatz ein Überangebot an Dithmarscher Kohl gibt, können die Marktleute ihre Ware auch nicht mal eben auf dem Freiburger Münstermarkt verkaufen.
De facto zerfällt das deutsche Stromnetz heute in mehrere Regionen, die jeweils nur wenige Verbindungen untereinander haben. Im Hinblick auf einen stabilen Netzbetrieb wäre es also durchaus sinnvoll, verschiedene regionale Strommärkte einzuführen, in denen sich jeweils kostendeckende Strompreise bilden können.
Offenbar ist ein freier Markt aber genau das, was manche süddeutsche Politiker fürchten. Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten Kretschmann (Grüne), Söder (CSU), Dreyer, Rehlinger (beide SPD) sowie Rhein und Wüst (beide CDU) sind sich jedenfalls einig, dass die Bildung unterschiedlicher Strompreisregionen in Deutschland unbedingt verhindert werden muss [4]. Der wahre Grund dafür ist leicht zu erraten: sie erwarten erheblich steigende Strompreise in ihren noch vorwiegend fossil versorgten Bundesländern.
Ein besonderer Anreiz, die Leitungskapazitäten im Land auszubauen und damit wirklich einen einheitlichen deutschen Strommarkt zu schaffen, besteht so natürlich nicht. Hinzu kommt, dass die Kosten für die Stabilisierung des Netzes – den sogenannten Redispatch – über die Netzentgelte auf alle Stromkunden im Land umgelegt werden.
In Anbetracht eines stark steigenden Strombedarfs durch Elektroautos, Wärmepumpen und eine CO2-neutrale industrielle Produktion sind das keine guten Aussichten. Das sieht man offenbar auch bei TransnetBW so: der Netzbetreiber hat eine App entwickelt, mit der die Verbraucher im Südwesten wie bei einer Ampel erkennen sollen, wann sie Strom sparen müssen, um einen Kollaps des Netzes zu verhindern [5]. Bleibt zu hoffen, dass dann im Ausland wieder genug Strom verfügbar sein wird.
Quellen
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- Spiegel Online, Engpass droht am Sonntagabend: Netzbetreiber in Baden-Württemberg ruft zum Stromsparen auf. 15. Januar 2023.
- Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Öffentliche Nettostromerzeugung in Deutschland am 15. Januar 2023. Freiburg im Breisgau.
- Kieler Nachrichten, Mangelnder Netzausbau: Darum sorgte Sturm in SH für Stromengpass im Süden. 16. Januar 2023.
- Tagesschau, Diskussion über Strompreiszonen: Dagegen werden wir mit aller Macht kämpfen. 12. Mai 2023.
- TransnetBW, StromGedacht – die neue App von TransnetBW. Pressemitteilung, 15. November 2022.